Wissenschaftler unter Federführung der Universität Bonn
haben einen Mechanismus entschlüsselt, der infizierte Zellen befähigt, lebende
von toten Erregern zu unterscheiden. Erst dadurch können die von Eindringlingen
befallenen Zellen entscheiden, wie stark die Immunantwort gegen die Erreger
ausfallen muss. Die Ergebnisse liefern die Grundlage, um neuartige
Impfstrategien zu entwickeln. Das renommierte Journal der European Molecular
Biology Organisation (EMBO) veröffentlicht nun die überraschenden Resultate.
Milliarden von Krankheitserreger attackieren tagtäglich
unseren Körper - und werden meistens vom Immunsystem in Schach gehalten. Es handelt sich dabei um einen Wettlauf mit der Zeit, verdeutlicht Prof. Dr. Percy Knolle, von den Instituten für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie an der
Universität Bonn. Die Zahl der bakteriellen Erreger
verdoppelt sich etwa alle 20 Minuten. Der
Organismus wird mit gefährlichen Keimen überschwemmt, wenn er nicht rechtzeitig gegensteuert. Die Wachposten des Immunsystems in Form von Fresszellen sind
gleichmäßig über
den gesamten Körper verteilt, allerdings in
geringer Dichte. Erst wenn an einer bestimmten Stelle Alarm geschlagen wird,
werden die im Blut zirkulierenden Truppen der Immunabwehr dort konzentriert, um
die Eindringlinge schnell unschädlich zu machen.
Wie erkennen die Wachposten, wie gefährlich die Angreifer sind?
Bakterien in Rohmilchkäse dienen als Modellorganismen im Labor
Die Wissenschaftler untersuchten nun beispielhaft an dem
Bakterium Listeria monocytogenes, wie sich diese Mikroorganismen in lebenden
Zellen verhalten und wie das Immunsystem darauf reagiert. Listerien können bei
Menschen und Tieren Infektionskrankheiten verursachen, deshalb sollte etwa
Rohmilchkäse während der Schwangerschaft nicht verzehrt werden. Uns dienen Listerien als Modellorganismen, an denen wir
erforschen, wie solche verbreiteten Infektionskrankheiten besser bekämpft
werden können, sagt Dr. Abdullah. Wie
unterscheiden Zellen, ob sie mit toten oder lebendigen Listerien infiziert
sind? Dieser Frage gingen die Forscher an Zellkulturen von Mäusen nach.
Lebende Bakterien legen unabsichtlich eine feine Duftspur
In vielen Situationen erkennt das
Immunsystem Eindringlinge an bestimmten Rezeptoren, die wie Antennen an der
Oberfläche der Erreger herausragen, erläutert Prof. Knolle. Allerdings sind sie sowohl bei lebenden
als auch toten Erregern vorhanden. Es muss
also einen anderen Weg geben, wie die Zellen lebendige von toten Eindringlingen
unterscheiden, berichtet der Immunologe der
Universität Bonn. Die Forscher stellten fest, dass
Listerien im Inneren von Fresszellen winzige Mengen Nukleinsäuren freisetzen. Damit versuchen die Bakterien offenbar, die Immunantwort in
den Zellen abzuschwächen,
sagt Prof. Knolle. Dies funktioniert ganz ähnlich,
wie wenn die Funkverbindung bei einer feindlichen Armee gestört wird. Allerdings legen die Bakterien damit unabsichtlich
auch eine feine Duftspur,
die von den zellulären Sensoren RIG-I, MDA5 und STING im
Innern der Fresszellen erkannt werden kann. Es
handelt sich dabei um eine sehr frühe und
differenzierte Form der Erkennung, dass es sich um ein lebendes und damit
potenziell gefährlicheres Bakterium handelt,
berichtet Dr. Abdullah. Denn tote Listerien würden
keine Nukleinsäurespur mehr absondern.
Ergebnisse bieten Chancen für neue Impfstrategien
Sind die intrazellulären Sensoren der Fresszellen durch die
Bakterien-Nukleinsäuren aktiviert, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, die
zur Produktion von Substanzen führen, die antibakteriell wirken und eine starke
Entzündungsreaktion auslösen. Dies führt zur Rekrutierung vieler weiterer
Immunzellen mit dem Ziel, die Eindringlinge auszuschalten und eine starke, lang
anhaltende Immunität zu etablieren. Wir haben
mit unseren Befunden den molekularen Mechanismus entschlüsselt,
wie die Stärke einer Entzündungsreaktion und damit auch die Entstehung von protektiver
Immunität gesteuert wird, sagt Prof. Knolle. Mit unseren Ergebnissen können
wir nun verstehen, warum eine Infektion mit einem lebenden Erreger eine
deutlich stärkere und längere Immunantwort auslöst
als mit einem toten Eindringling. Dieses
Wissen sei entscheidend, um neue Impfstrategien zu entwickeln.
Die Forschungsarbeiten fand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 670 Zellautonome Immunität und des an der Universität Bonn neu etablierten Exzellenclusters Immunosensation statt. Beteiligt an der Entdeckung waren das Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie der Universität Bonn, die Universität Gießen, die Technische Universität München, die Ludwig-Maximilians-Universität München, das Helmholtz Zentrum München, die McGill University Montreal (Kanada), und das Aichi Institute of Technologie in Japan beteiligt.
Publikation:
RIG-I detects infection with live Listeria by sensing secreted bacterial
nucleic acids, EMBO Journal, DOI: 10.1038/emboj.2012.279
Quelle: www.uni-bonn.de