Eine internationale Fachtagung in Berlin widmete sich im
September der Strafbarkeit der (potenziellen) HIV-Übertragung. Namhafte Aktivisten und andere Experten – unter anderem von
der HIV/Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS – tauschten sich über
die derzeitige rechtliche Situation in Europa und Zentralasien aus.
Die Fachwelt ist sich einig: Die Kriminalisierung der
unabsichtlichen Übertragung von HIV sowie von sexuellem Verhalten, bei dem HIV
übertragen werden könnte, trägt zur Verbreitung von HIV bei. Auch wo Menschen
mit HIV gesetzlich verpflichtet sind, ihren HIV-Status vor sexuellen
Begegnungen offenzulegen, hilft dies nicht, Infektionen zu verhindern, sondern
schadet der HIV-Prävention.
Dazu sagt Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen
AIDS-Hilfe: „Die Strafbarkeit konterkariert die erfolgreiche Botschaft
der Prävention in Deutschland: Jeder muss für seinen Schutz vor HIV selbst
Verantwortung übernehmen! Die Täter-Opfer-Logik des Strafrechts passt nicht zu
selbstbestimmten sexuellen Begegnungen. Menschen mit HIV einseitig die gesamte
Verantwortung zuzuschieben, trägt zu ihrer Stigmatisierung bei. Durch die gängige
Rechtsprechung sowie die Medienberichterstattung zu Gerichtsprozessen werden
sie zu potenziellen Straftätern gestempelt. Die Kriminalisierung führt zu Angst
und sabotiert damit genau das, was sie herbeiführen soll: offene Kommunikation
über den Schutz vor HIV. Zudem kann sie Menschen davon abhalten, einen HIV-Test
zu machen – ein fataler Effekt! Wer das Ziel hat, dass möglichst wenige
Menschen sich mit HIV infizieren, muss sich dafür einsetzen, dass das
Strafrecht bei diesem Thema außen vor bleibt!“
Immer wieder werden auch Menschen angeklagt und teilweise
sogar bestraft, obwohl kein Risiko einer HIV-Übertragung bestanden hat. Gut
funktionierende HIV-Therapien schützen mindestens so zuverlässig vor einer
HIV-Übertragung wie Kondome. Diese wissenschaftliche Tatsache wird auch von
deutschen Gerichten noch nicht zuverlässig anerkannt. In Deutschland sind
Menschen mit HIV nach gängiger Rechtsprechung verpflichtet, für den Schutz des
Partners Sorge zu tragen oder ihn über ihre Infektion zu informieren.
Europa ist nach Nord-Amerika die Region mit den meisten
Verurteilungen. In den letzten Jahren haben einige Länder wie Dänemark,
Norwegen und die Schweiz begonnen, ihrer Gesetzgebung zu revidieren.
„Das sind ermutigende Signale!“, sagt Tagungsleiter Edwin
Bernard, Koordinator des internationalen HIV Justice Network und Mitglied der
European AIDS Treatment Group. „Große Sorgen machen uns hingegen Länder wie
Rumänien, das im letzten Jahr ein HIV-spezifisches Strafgesetz neu erlassen
hat, oder Belgien, wo Präzedenzfälle geschaffen wurden. Auch aus Österreich
erreichen uns immer wieder Nachrichten über absurde und problematische
Verfahren und Urteile. Die Konferenz soll dazu beitragen, dass wir auch in besonders
repressiven Ländern vorankommen.“
Die Tagung fand anlässlich des 20-jährigen Bestehens der
European AIDS-Treatment Group (EATG) statt, Koveranstalter waren die
International Planned Parenthood Federation (IPPF), die Deutsche AIDS-Hilfe
(DAH) sowie HIV in Europe, eine Vereinigung von europäischen HIV/Aids-Organisationen.
Links:
Beitrag über Kriminalisierung von Menschen mit HIV in Schweden (DAH-Blog)
Dossier zur Kriminalisierung (u.a. Interviews mit Klägern, Beklagten und Experten)