27. November 2012

„Alltagskompetenzen so wichtig wie Mathe“


Warum die Soziologin und Ökonomin Uta Meier-Gräwe die Forderung der Landfrauen nach einem eigenständigen Unterrichtsfach „Alltags- und Lebensökonomie“ unterstützt, erläutert sie im Interview. 

Haushaltsführung, Einkaufen, Essen zubereiten, Wäschepflege, Umgang mit Geld, Versicherungen, Verträgen und Recht – ja können wir denn gar nichts mehr? 

Uta Meier-Gräwe: Produkte und Dienstleistungen werden immer komplexer. Verbraucher benötigen heute Kompetenzen, die früher nicht in diesem Maße gefordert waren. Gerade jungen Menschen fehlt oft der Durchblick. Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in den letzten Jahrzehnten immer weniger Fähigkeiten für die Lebens- und Alltagsbewältigung von ihren Eltern vermittelt bekommen – teilweise werden gerade Buben bewusst davon ´freigestellt´.

 

Welche Folgen hat das? 

Uta Meier-Gräwe: 90 Prozent der jungen Männer erklären, sie können nicht putzen, waschen, kochen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Auf der anderen Seite werden jungen Frauen von Staats wegen die MINT-Berufe schmackhaft gemacht (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, dass Buben in häusliche Versorgungsleistungen hineinwachsen, entsteht hier eine Lücke. Ich frage mich, wer die generative Sorgearbeit von der Wiege bis zur Bahre erfüllen soll. Ein Schulfach, in dem Alltagskompetenzen vermittelt werden, wäre ein erster Schritt.

Welche Inhalte sollte das neue Schulfach umfassen? 

Uta Meier-Gräwe: Es soll Kompetenzen vermitteln, die man benötigt, um den Alltag zu meistern. Dazu gehören beispielsweise der Umgang mit Geld und Zeit, gesunde Ernährung und nachhaltiges, umweltverträgliches Haushalten, aber keinesfalls nur theoretisch. Wichtig ist, dass praktische Erfahrungen vermittelt werden – es sollte ein Fach zum „Mit-Tun“ sein.

Wie schätzen Sie die Chancen für dieses neue Unterrichtsfach ein? 

Uta Meier-Gräwe: Es wird Widerstände geben: Die Lehrpläne sind jetzt schon voll, die Stundentafeln der Schüler ebenso. Dennoch halte ich vor dem Hintergrund unserer hochkomplexen Gesellschaft ein Fach Alltagskompetenzen für genauso wichtig wie Mathe. Es muss einen Ort geben, an dem dieses Wissen systematisch vermittelt wird. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Gesellschaft nicht wirklich verstanden wird, wie bedeutungsvoll die Alltagsökonomie ist. Unsere Ausbildung ist zu stark auf das Erwerbsleben ausgerichtet.

Quelle:  Bayerischer Bauernverband