3. Dezember 2012

Am Barbaratag Zweige schneiden

Kirschblüten an Weihnachten sollen Glück bringen.
Foto: LWL-Archiv/Theo Klein-Happe

Zweige des Kirschbaums

Gewöhnlich handelt es sich bei den Barbarazweigen um Zweige des Kirschbaums, aber das wird in Westfalen nicht so eng gesehen: In den Berichten der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ist auch von Forsythien, Pflaume, Apfel, Weißdorn, Birne, Kastanie, Mandel oder Pfirsich die Rede. "Einer alten Tradition zufolge werden die Zweige am 4. Dezember, dem Barbaratag, abgeschnitten und in einem beheizten Raum in eine Vase gestellt, in der Hoffnung, dass sie an Weihnachten blühen", so die LWL-Kulturwissenschaftlerin Evelyn Hammes.

Vor allem Kinder waren gespannt, wie sich ihre Äste entwickelten, denn die blühenden Zweige galten als Glücks- und Ernteorakel, wie der Bericht aus dem Jahr 1959 eines Zeitzeugen aus Sundern (Sauerland) zeigt: "Kurz vor Weihnachten besuchten wir uns schon gegenseitig, um festzustellen, wessen Knospen am ersten aufsprangen, denn dieser hatte auch wie wir damals glaubten im neuen Jahr das meiste Glück. Trugen die aufgesprungenen Knospen reichlich Blüten, so deutete das, wie meine Eltern sagten, die auch sehr an dieser unserer Spielerei interessiert waren auf ein gutes Obstjahr und vor allen Dingen eine schöne Blütezeit."
Aus dem Kreis Paderborn und aus Dortmund liegen Quellen vor, die auf eine romantischere Art der Vorhersage abzielen. Hier galten die Barbarazweige als Liebesorakel: "Barbarazweige im Hause bringen Glück, sagt der Volksmund. Den jungen Mädchen sollen sie bedeuten, daß sie im kommenden Jahr den Gefährten fürs Leben finden!"

Denkmal der heiligen Barbara in Hörstel-Bevergern im
Kreis Steinfurt. Foto: LWL-Archiv/Erich Brune
Als Weissagung reiht sich dieser Brauch ein in die Riege der Los-Tage. Das sind Tage, an denen nach dem Volksglauben Vorhersagen möglich sind. So gab es beispielsweise die Tradition, an Heiligabend rückwärts die Diele entlangzugehen. Man glaubte dabei zu sehen, was den Bewohnern des Hauses im kommenden Jahr widerfahren würde. In der Silvesternacht stellten sich die Töchter eines Hauses mit dem Rücken zur Tür auf und warfen einen Pantoffel über ihren Kopf. Wessen Pantoffel mit der Spitze zur Tür zeigte, der würde als nächstes heiraten. "So befremdlich manche dieser Vorstellungswelten heutzutage auf uns wirken mögen, letztlich verweisen sie doch auf das grundlegende Bedürfnis mehr über die Zukunft zu erfahren", so Hammes. "Außerdem muss man sich vergegenwärtigen, dass es noch vor wenigen Jahrzehnten für eine Frau weitaus elementarer war zu heiraten als heute."
Doch auch vor 50 Jahren verband nicht jeder mit den Barbarazweigen eine besondere (prophetische) Bedeutung. Viele freuten sich einfach nur darüber, an Weihnachten etwas Blühendes auf dem Tisch stehen zu haben. Übrigens gelingt es nicht immer, die Zweige rechtzeitig zum Blühen zu bringen. So sollen vor allem Forsythien oftmals vorher aufbrechen, während Kirschen und Apfel manchmal gar nicht blühen, sondern nur Blätter austreiben.


Hintergrund

Historisch gesichert ist die Existenz der Heiligen Barbara nicht. Der Legende nach wurde sie im 3. Jahrhundert in Nikomedien im nördlichen Kleinasien (heutige Türkei) geboren und bekannte sich gegen den Willen ihres Vaters als junge Frau zum Christentum. Zur Strafe wurde sie in einem Turm gefangen gehalten und schließlich von ihrem Vater enthauptet. Die Legende ist in verschiedenen Versionen überliefert und mit vielen, teilweise grausamen Details versehen.

"Als eine der populärsten Heiligen in Deutschland war die heilige Barbara aufgrund ihrer Legende vor allem für Bergleute und Artilleristen, die sich von einem plötzlichen Tod bedroht sahen, von besonderer Bedeutung", so Evelyn Hammes. "Noch heute bitten viele Katholiken die heilige Barbara um eine gute Sterbestunde."
Knappenvereine und Bergwerksgesellschaften veranstalteten Barbarafeiern und Bergmannsgottesdienste, manche katholischen Bergarbeiter begannen am 4. Dezember ihre Schicht mit einem Barbaragebet und der Opferung einer sogenannten Barbarakerze; auch Statuen der heiligen Barbara vor Zechen zeugen von diesem Barbarakult, der im 19. Jahrhundert durch zugewanderte Bergmänner aus dem oberschlesischen Raum nach Westfalen gebracht wurde.

Feierlicher Einzug zum letzten Bergmannsgottesdienst in Bochum-Langendreer im Jahr 1966. Auf der Fahne dieses Knappenvereins aus Geldern ist die heilige Barbara zu sehen.
Foto: LWL-Archiv/Karl Schmidthaus
Doch was hat es nun mit dem Brauch der Barbarazweige auf sich? Auch wenn Ausschmückungen der Legende kursieren, in denen die heilige Barbara auf ihrem Weg in die Gefangenschaft an einem Kirschzweig hängen bleibt: "Wahrscheinlich ist, dass diese Erweiterung der Legende lediglich dem Bedürfnis entspricht, dem Brauch nachträglich Sinn zu verleihen", erläutert die Geschäftsführerin Christiane Cantauw. "Es ist daher eher anzunehmen, dass die blühenden Barbarazweige als Sinnbild für die Geburt Christi und als Vorgeschmack auf das Erwachen der Natur im Frühjahr zu interpretieren sind."


LWL-Einrichtung:
Volkskundliche Kommission für Westfalen
Scharnhorststr. 100
48151 Münster
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