Bei Dr. Michele Cagnoli erregt das "ernste Besorgnis": Die Anzahl
junger Patienten mit Amphetaminkonsum bis hin zur Abhängigkeit steigt in
der Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL). Hier wie
insgesamt in Deutschland gebe es die "alarmierende Entwicklung, dass die
Betroffenen immer jünger werden", so der stellvertretende Ärztliche
Direktor der Marler LWL-Klinik.
Neben aufputschenden Energy-Drinks bilden sie in manchen Kreisen schon
fast einen festen Konsum-Bestandteil bei Partys unter Jugendlichen:
Amphetamine. Kleine bunte Pillen oder Pülverchen, die die Stimmung unter
den Partygästen deutlich pushen und ihnen eine schier unerschöpfliche
Kondition auf der Tanzfläche vorgaukeln.
"Doch so harmlos diese Partydrogen auch scheinen - sie können
Einstiegsdroge sein und gravierende körperliche Schäden verursachen",
warnt Cagnoli. Erschwerend komme hinzu, dass diese Drogen häufig
mehrfach binnen weniger Stunden eingenommen werden. Cagnoli nennt ein
aktuelles Beispiel: "Jüngst meldete das Krefelder Herzzentrum schwere
Herzschädigungen von Patienten, auch aufgrund ihres Amphetaminkonsums.
Die Herzen der Jugendlichen im Alter von 19-23 Jahren sind irreparabel
schwer geschädigt." In zwei Fällen sei sogar eine Transplantation
notwendig, zitiert der LWL-Experte entsprechende Berichte.
Die genauen Inhaltsstoffe dieser gefährlichen Gute-Laune-Pillen sind
laut Cagnoli zumeist unklar. Oft werden verschiedene Substanzen in
unterschiedlichen Stärken gemischt - mit unvorhersehbaren
Wechselwirkungen auf den Organismus. Als sichtbare Symptome eines
regelmäßigen Konsums bezeichnen Fachleute etwa Zittern, weite Pupillen,
eine auffällig gehobene oder gereizte Stimmung, einen erhöhten
Redefluss, ein plötzlich gestärktes Selbstbewusstsein bis hin zur
Selbstüberschätzung, gepaart mit Appetitlosigkeit und einem verminderten
Schlafbedürfnis.
Wer solche Symptome bei seinem Kind feststellt, sollte sich sofort an
seinen Hausarzt wenden, rät der LWL-Kinder- und Jugendpsychiater. Hält
dieser eine weitere Abklärung
oder Behandlung für notwendig, bietet die Ambulanz der LWL-Klinik Marl-Sinsen unter 02365/ 802-2402 Hilfe an.
Hintergrund:
Die Marler LWL-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie ("Haardklinik"),
mit 119 Betten eines der größten Fachkrankenhäuser in Deutschland,
verfügt mit der Station "Spurwechsel" über eine spezielle Station mit
zwölf Behandlungsplätzen für männliche und weibliche alkohol- und
drogenkonsumierende Jugendliche.
Hier klären ein Stationsarzt und eine Stationspsychologin in einem
ambulanten Vorgespräch ab, ob ein junger Mensch neben der
Suchtproblematik Symptome einer anderen Kinder- und
jugendpsychiatrischen Störung aufweist. Dabei kann es sich zum Beispiel
um eine Angsterkrankung, eine Depression, eine Psychose oder eine ADHS
(Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung) handeln.
Sind sich alle Beteiligten, einschließlich der
Eltern/Erziehungsverantwortlichen, einig, dass eine stationäre Aufnahme
notwendig und sinnvoll ist, zeigen die Mitarbeiter/-innen dem Patienten
die Station, um einen Einblick in den gesamten Therapieablauf, die
Therapieangebote und die räumliche Ausstattung der Klinik zu geben. Die
eigentliche Aufnahme erfolgt in der Regel nach wenigen Wochen.
152 Patienten wurden im vergangenen Jahr auf der Station Spurwechsel
stationär behandelt. Die meisten blieben ca. zehn Wochen. Manche
schaffen es nicht im ersten Anlauf, ihre Sucht auf Dauer zu überwinden.
Aber auch dann können sie sich an die Klinik wenden und es erneut
versuchen.
Das Konzept der Station sieht zwei Behandlungsphasen vor: An eine etwa
dreiwöchige Entgiftungsphase schließt sich die Psychotherapiephase an.
Dazu wird für jeden Patienten ein individuelles Programm
zusammengestellt, das unter anderem aus einer Einzel- und
Gruppentherapie sowie Familiengesprächen besteht. Positive Ressourcen zu
stärken, darauf liegt ein Fokus des Teams aus Ärzten, Psychologen,
Sozialarbeiten, Therapeuten und dem Pflege- und Erziehungsdienst.
Außerdem erhält der oder die Jugendliche Unterstützung bei belastenden
Schul- bzw. Ausbildungssituationen. Außerdem findet eine
Rückfallprophylaxe statt, in der der Patient lernt, Signale für einen
möglichen Rückfall zu erkennen und Strategien entwickelt, diesen zu
vermeiden. Abschließend wird gemeinsam mit dem Team eine tragfähige
Zukunftsperspektive erarbeitet, wie es für sie oder ihn nach der
stationären Behandlung weitergeht.
Voraussetzung für eine Behandlung ist die Einsicht in die eigene
Erkrankung sowie die Bereitschaft an sich zu arbeiten und am
Gruppenleben teilzunehmen.
LWL-Einrichtung:
LWL-Klinik Marl-Sinsen
Haardklinik
Halterner Str. 525
45770 Marl
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